Weißwein gilt als der leichte, unkomplizierte Bruder des Rotweins – perfekt für den Sommer, aber angeblich weniger „ernsthaft“. Doch genau hier steckt der Irrtum: Weißwein ist mindestens so facettenreich, anspruchsvoll und überraschend wie jeder Rotwein. Zeit also, mit den größten Mythen aufzuräumen.
1. „Weißwein darf nur jung getrunken werden“
Ein Klassiker – und völlig falsch. Zwar sind viele Weißweine auf jugendliche Frische und Frucht ausgelegt, doch einige zählen zu den langlebigsten Weinen der Welt. Ein gereifter Riesling aus der Mosel, ein Chenin Blanc von der Loire oder ein edler Chardonnay können nach 10, 20 oder sogar 30 Jahren noch voller Leben sein. Mit der Zeit entwickeln sie faszinierende Aromen von Honig, Nüssen und getrockneten Früchten. Ich war darüber verblüfft, als ich während der Corona-Pandemie meine Altbestände an Weißwein dezimiert habe.
2. „Weißwein passt nicht zum Fleisch“
Weißwein nur zu Fisch und Salat? Weit gefehlt! Ein kraftvoller Chardonnay aus dem Barrique kann es problemlos mit Kalb oder Geflügel aufnehmen, ein reifer Riesling harmoniert wunderbar mit Schweinebraten, ein kraftvoller Grüner Veltliner nimmt es mit Tafelspitz locker auf und ein aromatischer Viognier passt sogar zu Lamm oder Curry. Entscheidend ist die Würze und die Sauce – nicht die Fleischsorte.
3. „Weißwein ist immer leichter als Rotwein“
Auch das stimmt nicht. Viele Rotweine haben mehr Tannin und wirken dadurch kräftiger, aber Weißweine können erstaunlich viel Körper haben. Ein gereifter Chardonnay aus Kalifornien, ein Viognier aus der Rhône oder ein südafrikanischer Chenin Blanc bringen Schmelz, Kraft und Tiefe ins Glas, die manchen Rotwein alt aussehen lassen.
4. „Weißwein muss eiskalt getrunken werden“
Die meisten Kühlschränke sind viel zu kalt für Weißwein. Bei 4–6 °C verschwinden Frucht und Aroma völlig. Besser: je nach Stil bei 8–12 °C servieren. Ein frischer Sauvignon Blanc darf kühler sein, ein kräftiger Chardonnay oder ein edelsüßer Wein zeigt sich bei 12–14 °C von seiner besten Seite. Also: nicht zu kalt – sonst bleibt der Genuss auf der Strecke.
5. „Süßer Weißwein ist altmodisch“
Falsch gedacht! Edelsüße Weine wie Sauternes, Tokaji oder eine Riesling-Auslese zählen zu den größten Weinen der Welt. Sie sind keine klebrigen Restsüßen, sondern komplexe Meisterwerke mit unglaublicher Aromatik und perfekter Balance von Süße und Säure. Süßer Weißwein kann zum Dessert glänzen – aber auch als spannender Kontrast zu Blauschimmelkäse oder asiatischer Küche.
Fazit: Weißwein kann alles – außer langweilig!
Die Weißweinwelt steckt voller Überraschungen und Vielfalt. Vom zarten Muscadet bis zum opulenten Chardonnay, vom frischen Sauvignon Blanc bis zum gereiften Riesling – hier gibt es viel mehr zu entdecken, als gängige Klischees vermuten lassen.